Leitplanken für Diskussionen an Hochschulen zum Krieg in Israel
Taten tiefster Unmenschlichkeit und barbarisches Handeln lässt Menschen verstummen: Für manches Unfassbare gibt es keine passend scheinenden Worte. Bei unmittelbar von Kriegstoten betroffenen Angehörigen kann man nur für den anderen da sein, weil jedes Wort falsch klingen wird, wenn der Schmerz zu groß ist und völlig klar ist: Der Schmerz wird nie wieder verschwinden und die überlebende Person kann nur damit leben lernen. In dieser Situation hilft nur das Signal der Nähe, des nicht Alleinlassen und der Stärke, auch emotionale Ausbrüche aus tiefster Trauer irgendwie auffangen oder zumindest ertragen zu können.
Großer Bedarf, sich im Gespräch auszutauschen
Jenseits dieser persönlichen Situation zwischen zwei Menschen gibt es in diesen Tagen einen großen Bedarf, sich im Gespräch auszutauschen, mitzuteilen, Gedanken zu sortieren und Bilder zu verarbeiten. Das ist, wenn es um Krieg geht, immer schwierig und groß ist die Sehnsucht nach klaren Zuordnungen in „gut“ und „böse“, nach „richtig“ und „falsch“. Die Konfliktzone im Nahen Osten ist jedoch komplex und selbst für Expert*innen nicht einfach zu durchdringen. Wenn Hochschule jedoch den Anspruch hat, Räume für fundierte Diskurse anzubieten und nicht vor anderen Meinungen oder Kontroversen zu schützen, ist es sinnvoll, entsprechende Gespräche auch offensiv anzuregen. Was könnten aber dafür Leitplanken des Denkens und Diskutierens sein, innerhalb derer dieser Austausch stattfinden sollte? Mit Leitplanken meine ich Grundsätze und Positionen, an denen Äußerungen, Diskurse, Gedanken oder Handlungen sich messen lassen können. Sie setzen Grenzen; vor allem aber auch einen offenen Rahmen, innerhalb dessen um Positionen gerungen werden kann. Dazu möchte ich mit diesem Beitrag einen ersten Vorschlag unterbreiten. Meine normgebenden Leitplanken sind:
- Ausgangspunkt meines Denkens bleiben Grundsätze der Menschlichkeit, wie sie für mich in den unveräußerlichen Menschenrechten formuliert sind. Sie sind unteilbar und gelten für alle Menschen auf allen Seiten eines Konflikts und auch im Krieg.
- Menschen haben ein Recht auf Leben in Staatlichkeit. Das Existenzrecht Israels ist für mich ebenso selbstverständlich und steht außer Frage wie das grundsätzliche Recht der Palästinenser auf einen oder mehrere eigene Staaten. Staaten sind grundsätzlich dazu verpflichtet, Frieden im Inneren wie im Äußeren zu ermöglichen.
- Jeder Staat hat im Falle eines Angriffes ein Recht auf Verteidigung im Rahmen des Völkerrechts. Dazu gehören explizit auch militärische Operationen und Einsätze.
- Alle Angehörigen von Opfern der Gewalt haben ein individuelles Recht auf Trauer und müssen diese auch öffentlich kundtun dürfen.
- Terrorismus ist gezielte und symbolische Gewalt, kein Befreiungskampf und weder zu rechtfertigen noch zu entschuldigen. Man kann ihn erklären, um ihn besser zu verstehen und so zu reduzieren oder zu verhindern – niemals lässt er sich jedoch legitimieren, vor allem dann nicht, wenn er sich gegen Dritte richtet oder Dritte als Schutzschild instrumentalisiert und damit bewusst gefährdet. Terrorismus darf auch nicht durch erlittenes Unrecht relativiert werden.
- Die besonderen deutsch-israelischen Bezüge sind nicht ohne den Holocaust zu verstehen.
- Humanitäre Hilfe ist ein immerwährender und ungebrochener humanitärer Auftrag auch im Krieg. Ideen des Aushungerns einer Bevölkerung oder des Entzugs von Wasser, lebenswichtiger Medikamente etc. sind immer inhuman und mit dem Prinzip der Menschlichkeit unvereinbar.
Was bedeutet das alles nun für Diskurse an Hochschulen?
Aus meiner Sicht braucht es Raum für den Austausch und die Suche nach eigenen Haltungen und Positionen. Dabei gehe ich davon aus, dass es unter uns immer wieder unmittelbar Betroffene mit ihren jeweiligen individuellen Sichtweisen geben wird. Ihre Position verdient auch dann Gehör, wenn sie individuell oder auch emotional formuliert ist und für den Moment nicht sofort in Gänze alle Facetten des Abwägens und Einordnens erfüllt. Für die Einhaltung der Leitplanken sind die Lehrenden da. Weltweite Konfliktlinien spiegeln sich auch in der hiesigen modernen Einwanderungsgesellschaft wider und treten an Hochschulen zutage. Hier wird es wichtig sein, einerseits im Dialog zu bleiben und eine verstehen-wollende Haltung für den jeweils anderen einzunehmen. Andererseits braucht es auch klare Grenzen. Dazu gehört vor allem alles, was zur Gewalt aufruft oder Hass auf Menschen anstachelt, die Grundwerte der Demokratie in Frage stellt oder den Rechtsstaat zu unterlaufen versucht.
Das sind meine ersten Leitplanken für eine Ermunterung zum Dialog in der Krise. Gibt es dazu weitere, bessere Ideen oder Erfahrungen? Über einen kritischen Austausch würde ich mich freuen.